17.02.2021

Digitalisierung im Gesundheitswesen: Interview mit einem Pionier

Dr. Andreas Scheiwiler hatte schon sehr früh begonnen, seine Zahnarztpraxis in Wil SG zu digitalisieren. In diesem spannenden Interview verrät er uns, was die Digitalisierung wirklich bringt – und wo die Grenzen liegen.

Der praktizierende Kieferchirurg und Zahnarzt Dr. med. dent. Andreas Scheiwiler hatte schon sehr früh begonnen, seine Praxis in Wil SG zu digitalisieren. Wir haben ihn gefragt, was ihn dazu motiviert und wie er seine Reise in die digitale Zukunft erlebt.

Herr Dr. Scheiwiler, was bedeutet für Sie «Digitale Transformation»?

Digitale Transformation ist ein steter Wandel mit dem Ziel, gänzlich papierlos zu werden.

Wann haben Sie begonnen, Ihre Praxis zu digitalisieren?

Als ich 1995 mit meiner Praxis in einen Neubau umzog, bin ich von Papier-Krankengeschichten weggekommen und habe sukzessive digitalisiert: Das Röntgen ist jetzt digital, der Austausch mit Kollegen ebenfalls. 

Beim Rechnungswesen sind wir noch nicht ganz so weit – nicht alle Versicherer machen bei elektronischen Rechnungen von Zahnärzten mit. Schön wäre, wenn ich alle Rechnungen digital erhalten und meine Rechnungsstellung auslagern könnte. Aber im Moment schreibe und drucke ich meine Rechnungen noch selbst, mit Ausnahme der Rechnungen, die an SUVA, Militärversicherung und IV gesendet werden – diese werden elektronisch versendet über MediData. Das funktioniert sehr gut.

Die Workflows werden ebenfalls digitalisiert, wo dies möglich ist, zum Beispiel im Zusammenhang mit Cerec. Neu kann ich auch digitale Modelle erstellen für Zahnersatz, etc. 

Beobachten Sie Widerstände gegen die Digitalisierung?

Bei Kollegen beobachte ich eine gewisse Skepsis. Stichworte: Hacker, Cyber-Angriffe, usw. Sie sagen: «Das was ich physisch habe, das habe ich». Ich selbst digitalisiere alles konsequent und hatte kaum je Probleme. Ich erstelle konsequent Backups auf Daten-Bändern. Ein einziges Mal erlebte ich einen Absturz. Dann kam der Techniker meiner Praxissoftware, stellte mir einen Ersatz-Computer zur Verfügung und brachte das defekte System innerhalb von 2 Tagen wieder zum Laufen. Diese Erfahrung zeigte mir, dass das Backup im Ernstfall funktioniert und ich darauf vertrauen kann.

Kollegen sind manchmal weniger digital-affin als ich und haben Fragen wie zum Beispiel:  «Wo gehen die Daten hin, die ich sende?» oder «Ist das auch sicher oder nicht?» Solche Skepsis wird auch geschürt gewissen Anbietern, die Verschlüsselung verkaufen wollen. Ich selbst mache mir nicht grosse Sorgen um die Sicherheit.

Was ist eigentlich Ihr persönlicher Nutzen aus der Digitalisierung?

Unabhängigkeit. Ich kann von zuhause aus arbeiten oder auch aus den Ferien heraus – wenn es einen Notfall gibt, kann ich mich einloggen. Ich bin auch am Kantonsspital St. Gallen als Beleg-Kieferchirurg tätig. Dort habe ich online Zugriff auf die Röntgenbilder. Wenn ich um Beratung gebeten werden, kann ich mich einloggen und die Bilder selbst anschauen.

Ein dritter Punkt betrifft die Krankengeschichten: Ich habe meine Praxis von meinem Vater übernommen. Dieser hatte alle paar Jahre die KG neu geschrieben, weil sie feucht wurden und die Schrift verwischte, sodass man sie kaum noch lesen konnte. Deshalb hatte man sie wieder frisch geschrieben. Hier ist die Digitalisierung ein grosser Vorteil.

Dass die Rechnungen aus der Software heraus gedruckt werden können, ist ebenfalls ein grosser Vorteil gegenüber dem früheren System meiner Eltern, welche mit Rechnungsformularen arbeiten mussten. Schon damals sagte ich mir: «Dies ist verlorene Zeit; ich werde das so bald wie möglich digitalisieren.»

Ich engagiere mich auch im Öko-Bereich: Ich kaufe Strom ökologisch ein und bin in verschiedenen Foren engagiert. Es ist mir ein grosses Anliegen, dass wir ökologisch besser fahren. Auch aus diesem Grund ist es mir wichtig, papierlos zu werden und Papier auf das absolut Notwendige zu beschränken. Dies gilt übrigens auch für die praxisinterne Kommunikation: Auch hier achte ich darauf, dass möglichst wenig Papier verwendet wird.

Welche Haltung beobachten Sie bei Ihren Patienten hinsichtlich Digitalisierung?

Wenn Patienten einen Notfall haben, erwarten sie ganz selbstverständlich, dass ihre Daten den behandelnden Ärzten zur Verfügung stehen. Ebenso erwarten sie im Falle eines Arztwechsels, dass ihre Daten fristgerecht an die neue Praxis weitergeleitet werden. In diesem Sinne ist der Wunsch der Patienten nach Digitalisierung gegeben. Sie äussern auch kaum Bedenken wegen des Datenschutzes. Denn sie beobachten ja auch, dass der Datenaustausch im Gesundheitswesen völlig normal ist – wenn zum Beispiel im Spital gesagt wird, man frage noch rasch beim Hausarzt nach. Auch Laborberichte erhalte ich auf dem digitalen Weg.

Dies klingt so, als ob sich Patienten gar keine Gedanken über Datenschutz machen würden

Es gibt schon auch Patienten, die nachfragen, ob der Datenaustausch auch sicher sei. Aber der Grossteil geht davon aus, dass der Datenaustausch bei derart sensiblen Daten gut geregelt und sicher ist. 

Erwarten Patienten von Ihrer Arztpraxis digitale Kommunikationskanäle?

Danach wird immer wieder gefragt. Aber ich mache dies nicht, weil es in organisatorischer Hinsicht einige Haken hat: Wenn Patienten Termine digital vereinbaren, müsste jemand von uns permanent am PC sitzen und reagieren können. Zweitens bemerke ich, dass Patienten, die über digitale Kanäle kommunizieren, ganz anders absagen: Sie schreiben rasch ein SMS oder WhatsApp. Für uns hiesse dies, dass wir diese Kanäle ständig checken müssen, um fristgerecht über Absagen informiert zu bleiben. Der Erwartungsdruck der Patienten ist allerdings nicht besonders gross. Denn ich habe meine Praxis nicht in einer Grossstadt, sondern in Wil SG, einer Kleinstadt. Hier läuft Vieles über das Telefon und den direkten Austausch. Wenn Patienten dies wollen, nutze ich bereits heute SMS / WhatsApp für Reminder.

Herr Dr. Scheiwiler, herzlichen Dank für dieses interessante Interview!

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